Die sogenannte mTor-Regulation bzw. der mTor-Signalweg ist eines der zentralen Schlagworte der Anti-Aging Medizin. Aber warum fußt unser heutiges wissenschaftliches Verständnis von zellulärer Alterung auch auf dem zivilen Ungehorsam eines indischen Zellbiologen. Und wie genau hängt das mit Fasten zusammen? Dieser Magazin-Beitrag beleuchtet die Geschichte einer medizinischen Zufallsentdeckung, die wohl ihresgleichen sucht.
- Was ist die mTor-Regulation?
- Was ist Rapamycin?
- Ziviler Ungehorsam, ein Joghurtbecher und die Flucht aus Kanada
- mTor-Inhibitor: das Universalmittel gegen jegliche Form von Zellwachstum
- Wie wirkt die mTor-Regulation?
- mTor-Inhibition und mehrtägiges Fasten
Was ist die mTor-Regulation?
Die mTor (mechanistic target of Rapamycin) — Regulation ist ein sogenannter food sensing pathway, sprich ein Signalweg für die Nahrungsmittel-Aufnahme, der insbesondere beim mehrtägigen Fasten herunterreguliert wird. Wenn auf Zellebene dem Körper durch Enzyme und Proteine signalisiert wird, dass ausreichend Nahrung aufgenommen wird, schaltet die Zelle auf Wachstum. Der Körper kann die erhaltenen Baustoffe direkt sinnvoll nutzen. In Zeiten des Nahrungsmittelstopps haben unsere Zellen jedoch einen Mechanismus entwickelt, um diese „Hungerkrise“ für zelluläre Aufräumarbeiten zu nutzen, die Autophagie. Ähnlich wunderhaft wie diese biologischen Prozesse selbst ist aber auch die Entdeckung der mTor-Regulation. Um diese zu verstehen ist erstmal ein Sprung zurück in der Geschichte notwendig …
Was ist Rapamycin?
Rapa Nui: Heimat monumentaler Steinköpfe und wundersamer Bakterien
1964 landete ein Forscher-Team der Royal Canadian Navy auf den Osterinseln. Sie hatten das Ziel, die Flora und Fauna der abgelegenen Inseln zu studieren. Als sie die Insel wieder verließen, fanden sich zahlreiche Speichelproben von Tieren und Menschen, Pflanzenexemplare, und eine große Menge an Erd- und Gesteinsproben an Bord. Mit dabei ein Bakterium, das nicht nur eine medizinische Revolution bei der Behandlung einer Vielzahl von Krankheiten mit sich bringen sollte, sondern das auch in den nächsten Jahrzehnten unser wissenschaftliches Verständnis von Alterung grundlegend verändern sollte. Benannt nach dem Wort der Einheimischen für die Osterinseln — „Rapa Nui“ — ist das Bakterium heute bekannt als Rapamycin.
Rapamycin: ein neues Wundermittel gegen Fußpilz?
Einer der Forscher, der im Labor in Kanada mit der Untersuchung von Rapamycin beauftragt wurde, wird bis an sein (tragisches) Lebensende untrennbar mit der Geschichte dieses Bakteriums verknüpft sein: der Biologe Dr. Surendra Sehgal. Da erste Testungen im Labor ergaben, dass Rapamycin das Wachstum von Pilzen hemmen könnte, ahnte Dr. Surendra Sehgal sofort, dass er auf eine Goldader gestoßen sein könnte. Von da an ließ ihn das neue „Wundermittel“ nicht los.
Das Wundermittel Rapamycin hemmt auch Immunzellen
Die Hoffnung war groß, mit dem neuen Wundermittel das Heilmittel schlechthin gegen Pilzbefall auf den Markt zu bringen. Unglücklicherweise brachten die weiteren Untersuchungen aber auch einen gravierenden Nebeneffekt mit ans Tageslicht: Rapamycin hemmt auch das Wachstum von Immunzellen. Ein heftiger Rückschlag. Mit dieser Erkenntnis wurde das vielversprechende Wundermittel von einem Tag auf den anderen wertlos und uninteressant. Die Leitung des Labors gab den Auftrag, die Forschung mit Rapamycin einzustampfen und sämtliche Proben in den Müll zu werfen, zu entsorgen und für immer aus dem Bewusstsein der Menschheit zu schaffen*.
Ziviler Ungehorsam, ein Joghurtbecher und die Flucht aus Kanada
Ziviler Ungehorsam hat viele Gesichter. Im Falle von Rapamycin sah das folgendermaßen aus: Dr. Surendra Sehgal war sicher, dass es ein großer Fehler sei, die Forschung mit Rapamycin einzustellen. Er widersetzte sich dem Auftrag. Er schnappte sich sämtliche Proben von Rapamycin, packte sie in alte ausgewaschene Joghurtbecher und schmuggelte diese mit dem eigenen PKW über die kanadische Grenze in die USA. Schnell fand er ein Labor, an dem er seine Forschungen weiterführen durfte. Legal vermutlich nicht ganz sauber, aber die Geschichte sollte ihm Recht geben.
mTor-Inhibitor: das Universalmittel gegen jegliche Form von Zellwachstum
Schnell wurde klar: Das Geheimnis von Rapamycin liegt darin, dass es sämtliche Formen von zellulärem Wachstum hemmt, nicht nur das Wachstum von Pilzen oder von Immunzellen. Basierend auf dieser Erkenntnis ist Rapamycin aus der heutigen Medizin nicht mehr wegzudenken. Vor allem bei Organ-Transplantationen hat es unzähligen Menschen bereits das Leben gerettet. Rapamycin verhindert, dass das eigene Immunsystem auf eine fremde Niere mit einer lebensgefährlichen Überreaktion antwortet. Auch in der Onkologie wird das wachstumshemmende Potential von Rapamycin erfolgreich beim Verhindern von wachsenden Tumorzellen eingesetzt, was auch Dr. Surendra Sehgal im eigenen Selbstversuch erprobt hatte. Darüber hinaus hat Rapamycin aber die Wissenschaft auf den mTor-Signalweg aufmerksam gemacht, dem Wächter über das Zellwachstum.
Wie wirkt die mTor-Regulation?
Die Entdeckung eines neuen Proteins: der mTor Signalweg
Es dauerte noch einige weitere Jahre, bis der Mechanismus hinter dem Wachstumshemmer Rapamycin entdeckt wurde. Den Schlüssel dazu bildet ein Protein in den Zellen, das der Wissenschaft bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt war. Offenbar dockt sich Rapamycin an dieses Protein an und behindert es bei seiner Arbeit. Weil dieses neue mysteriöse Protein noch keinen Namen hatte, nannte man es passenderweise einfach mTor — mechanical Target of Rapamycin. Diese neue Erkenntnis brachte den entscheidenden Durchbruch. An zahlreichen internationalen Forschungseinrichtungen wurde gleichzeitig eifrig daran geforscht. Was ist mTor? Gibt es ein Äquivalent in menschlichen Zellen? Wie wird mTor noch beeinflusst? Wie kann man das am besten nutzen? Kurz gesagt: Mit der Entdeckung von mTor wurde ein weiteres Tor in ein neues Zeitalter der präventiven Lifestyle-Medizin aufgestoßen.
mTor-Signalweg als Nahrungsmittel-Sensor
Also was ist mTor? Am besten ist mTor als ein Nahrungsaufnahme-Sensor zu beschreiben. Sprich: das Protein registriert was und wieviel Energie über die Nahrung gerade aufgenommen wird und steuert dementsprechend die Proteinproduktion in den Zellen. Damit verbunden sind Zellteilung und Zellwachstum. Ein wünschenswertes Szenario, insbesondere in jüngeren Jahren, aber Wachstum ist zellulär gleichbedeutend mit Alterung. Und Alterung ist gleichbedeutend mit biologischem Verfall. (siehe dazu auch Interview mit Prof. Dr. Kleine-Gunk).
mTor-Regulation und Inhibition: Der Bauleiter der Zellen!
Am besten zu verstehen ist die Wirkweise des Proteins mTor mit der Metapher einer Baustelle. mTor ist in der Metapher der Bauleiter, der entscheidet, wie schnell und rasch neue Bauwerke gebaut werden sollen. Wenn für den Bau genügend Rohstoffe da sind, kommt das Signal: Bauen und zwar Vollgas! Dann laufen die Zellen auf Hochtouren und sorgen für Wachstum. Wenn auf der Baustelle hingegen keine neuen Rohstoffe zugeführt werden, dann wird nicht gebaut. Aber was passiert in dieser Zeit auf der Baustelle?
Der mTor-Signalweg in Zeiten des Stillstands: Zellreparatur und Wartung
Ein schlauer Baumeister nutzt die Zeit des Wartens auf Rohstoffe konstruktiv. Es wird überprüft, wo korrekt gebaut wurde, es findet ein Monitoring statt, es finden Analysen von Schwachstellen statt, ein Ist-Soll-Abgleich, es wird geschaut, wo sind Reparaturen oder Verbesserungen notwendig. Und auch mTor ist ein schlauer Baumeister. Konkret bedeutet das: Wenn mTor signalisiert, dass keine Energie zum Wachsen da ist, dann leitet mTor die Autophagie ein.
mTor, Fasten und Autophagie: eine Zelle isst sich selbst und verjüngt sich?
Autophagie kommt von griechisch „auto (dt. selbst)“ und „phagein (dt. verdauen)“, sprich eine Zelle verdaut sich selbst. Seit langer Zeit weiß die Zellbiologie, dass alle Lebewesen auf zellulärer Ebene einen Mechanismus in sich tragen, sich selbst zu regenerieren. Es dauerte jedoch viele Jahrzehnte bis 2016 der Japaner Yoshinori Ohsumi den präzisen Mechanismus identifizieren und beschreiben konnte und dafür den Nobelpreis erhalten hat. Kurz zusammengefasst geht es darum, dass die Zelle selbst schadhafte Zellstrukturen auffindet und entsorgt. Sprich: die Zelle isst sich tatsächlich selbst auf. Ein wahres Wunderwerk der Zellen. Und Interessanterweise hängt die Autophagie — neben anderen Nahrungsmittel-Signalwegen auf Zellebene wie APMK und IGF-1 — zu einem großen Teil von der mTor-Regulation ab. Sprich geht der mTor-Signalweg runter, geht die Autophagie hoch.
mTor-Inhibition und mehrtägiges Fasten
Am besten untersucht ist diese mTor-Regulation durch mehrtägiges Fasten. Weil das Signal der Nahrungsaufnahme über mehrere Tage ausbleibt, kommt die Autophagie richtig in Schwung. Leider lässt sich insbesondere mehrtägiges Fasten nur schwer mit den Anforderungen des modernen Alltags in Einklang bringen. Doch es geht auch einfacher. Auch ist Fasten nicht gleich Fasten.